Nächster Artikel
Interview mit Niels Syassen, SICK AG
»Es ist sinnvoll, mit der Lösung eines einfachen Problems anzufangen«
Qualitätssicherung ist einer der, wenn nicht der entscheidende Wettbewerbsfaktor für Industrieunternehmen. Deutsche Unternehmen haben das längst erkannt und in der Regel nicht mit Qualitätsproblemen zu kämpfen. Aber das hat seinen Preis. Jetzt soll Künstliche Intelligenz in der Qualitätssicherung zum Game Changer werden. Wie das funktioniert, erläutert Dr. Niels Syassen, Vorstand Technology & Digitalization der SICK AG.
© istock/Drazen Zigic
H. T. Hengl:
Herr Syassen, welche Erwartungen knüpfen potenzielle Anwender in der Industrie an den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Qualitätssicherung?
Dr. Niels Syassen:
Um das zu beantworten, lassen Sie mich einen genaueren Blick auf Qualitätssicherung werfen. Eine wirksame Qualitätskontrolle zielt darauf ab, die Qualität von Produkten und Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu überwachen und zu optimieren. Eine wesentliche Herausforderung dabei besteht darin, dass viele Ingenieurinnen und Ingenieure nötig sind, um die Systeme für die Qualitätssicherung zu entwickeln und die hohen Ansprüche zu erfüllen.
H. T. Hengl:
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Dr. Niels Syassen:
SICK stellt unter anderem Kamera-basierte Sensoren her. Diese Kameras sind in der Produktionslinie integriert, ihre Aufgabe ist es, Qualität sicherzustellen und Anomalien festzustellen. Diese Anforderungen sind zum Beispiel in der Lebensmittelherstellung sehr hoch. Ein anderes Beispiel ist die Automobilproduktion, bei der es um Fragen geht wie: Sind alle Schrauben da, wo sie hingehören, werden bestimmte Toleranzen eingehalten, etwa im Motor oder an der Karosserie?
H. T. Hengl:
Und wo kommt da die KI ins Spiel?
Dr. Niels Syassen:
Die Kamerasensorik wird quasi um KI erweitert, genauer gesagt um Verfahren des Maschinellen Lernens. Und die funktionieren gut, wenn es darum geht, Kamerabilder zu bewerten und Muster zu erkennen, was für die Qualitätsprüfung von entscheidender Bedeutung ist. So entscheiden Kamera und KI zusammen, ob ein Produkt schadhaft ist oder nicht.
H. T. Hengl:
Wie genau können solche KI-basierten automatisierten Lösungen die Abläufe in der Qualitätssicherung optimieren?
Dr. Niels Syassen:
Die Kombination von Kamera plus KI macht die Bildauswertung sehr leicht. Man könnte das eine »Plug & Use-Lösung« nennen: sofort loslegen, die Kamera und KI trainieren. So können Zeit und Aufwand für die Qualitätsprüfung signifikant reduziert werden, vor allem lassen sich Engineering-Kosten einsparen. Denn wenn neue beziehungsweise andere Produkteigenschaften kommen, die es zu überprüfen gilt, kann das Unternehmen selbst die nötigen Anpassungen schnell vornehmen und braucht nicht den Hersteller dazu. Voraussetzung ist natürlich, dass das gesamte System einfach zu bedienen ist.
Dr. Niels Syassen
Niels Syassen wurde 1977 in Düsseldorf geboren. Er studierte Physik mit Schwerpunkt Laser, Optik und Halbleiter an der TU München und am Imperial College in London. 2008 promovierte er am Max-Planck-Institut für Quantenoptik.
Dr. Niels Syassen verantwortet seit dem 1. Oktober 2021 als Vorstand das Ressort „Technology & Digitalization“ der SICK AG.
Er ist Mitglied des Kuratoriums des Fraunhofer IKS.
H. T. Hengl:
Welche Anforderungen muss die KI in der Qualitätssicherung, also der Qualitätsprüfung in der Produktionslinie, erfüllen?
Dr. Niels Syassen:
Die KI muss sehr robust sein, was mit einer hohen Trefferquote in der Qualitätskontrolle einhergeht. 80 Prozent reichen da nicht aus. Es müssen schon 99,9 Prozent oder mehr sein. Aber diese letzten Prozentpunkte samt Nachkommastelle sind besonders schwierig zu realisieren. Und dann muss die Lösung, wie gerade betont, einfach in der Bedienung sein. Das ist die Grundvoraussetzung, damit sie auch für kleinere und mittlere Unternehmen interessant ist.
H. T. Hengl:
Wie können Produktionsunternehmen möglichst einfach KI-basierte Qualitätsprüfung einsetzen?
Dr. Niels Syassen:
Es ist sinnvoll, mit der Lösung eines einfachen Problems anzufangen und dann die Komplexität beziehungsweise die Anforderungen schrittweise zu steigern. Am besten man testet das System und lotet aus, wann und wo es an seine Grenzen stößt. Im nächsten Schritt wird das Ganze optimiert. Statt über die KI-Technologie zu diskutieren ist es meiner Erfahrung nach besser, die Leistungsfähigkeit des Systems in den Vordergrund zu stellen.