Bahnverkehr
Thank you for traveling with AI

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Bahnindustrie verspricht erhöhte Effizienz und Qualität. Einsatzmöglichkeiten, Herausforderungen und die Absicherung von KI in Bahnanwendungen diskutierten Experten der Deutschen Bahn, von Siemens Mobility und des Fraunhofer IKS auf einem Workshop des Instituts.

mask Bahn auf Schiene

Schienenwartung, Netzstörung, Betriebsstörung, Zugausfall – diese und ähnliche Anzeigen an den Informationstafeln am Bahnsteig sind jedem Passagier bekannt. Doch wo liegt letztlich der Ursprung von Verspätungen und hätten sie überhaupt verhindert werden können? Könnte nicht die Taktung vielleicht etwas höher sein? All dies sind Anforderungen an komplexe öffentliche Verkehrssysteme, die für einen reibungslosen Verkehrsfluss in und zwischen Städten sorgen sollen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) birgt hier großes Optimierungspotenzial. Dabei sind »autonome Züge« und »vorausschauende Instandhaltung« (predictive maintenance) nur zwei von vielen Anwendungsfeldern.

Künstliche Intelligenz im Bahnverkehr – Einsteigen bitte!

Warum benötigen wir eigentlich KI auf der Schiene? Antworten auf diese Frage lieferte Dr. Claus Bahlmann, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung für Künstliche Intelligenz bei Siemens Mobility. So seien entlang der gesamten Wertschöpfungskette Anwendungsfälle für KI identifiziert worden, durch welche Entwicklungszeit und -kosten verringert und Qualität erhöht werden können: Vom NLP-unterstütztem (Natural Language Processing) Projektangebotsprozess, über die Erstellung von digitalen Zwillingen der Infrastruktur auf Basis eines Mobile Mapping Systems, bis hin zu vorausschauender Instandhaltung und fahrerlosen Zügen. »Einige Lösungen sind heute schon im Einsatz«, sagte Bahlmann, »manche erfordern jedoch noch Entwicklung, bis sie als Produkt vermarktet werden können.«

Ein Beispiel hierfür ist der Demonstrator eines Systems zum GoA3/4 (d.h. fahrerlosem) Fahren: Automatisierte Umgebungswahrnehmung, Verstehen der Umgebung, Aktionsplanung und Zugsteuerung – ein automatisiertes System ohne menschlichen Eingriff. Für den Demonstrator auf der Innotrans 2018 saß in der Straßenbahn noch immer ein »Safety-Driver«, welcher bei Fehleinschätzungen der KI eingreifen kann. Anhand dieses Beispiels leitet Bahlmann auf die größte Herausforderung von autonomem Fahren im Bahnverkehr über: KI-Einsatz in sicherheitskritischen Anwendungen. »Sofern kein Mensch mehr in die Entscheidung eines automatisierten Systems eingreifen kann, besteht bei Fehleinschätzung der KI ein hohes Schadensrisiko«, betonte Bahlmann. »Siemens Mobility sieht es als Notwendigkeit, fundamentale Strategien zur Mitigation dieses Risikos zu entwickeln, sodass der hohe potenzielle Nutzen von künstlicher Intelligenz in sicherheitskritischen Anwendungen ausgeschöpft werden kann.«

Anders verhält es sich dagegen bei nicht-sicherheitskritischen Anwendungen. Diese sind mittlerweile häufig im produktiven Einsatz zu finden, da mit der Einbindung eines Menschen geringere Sicherheitsanforderungen einhergehen. Beispiele hierfür sind KI-unterstützte interne Prozesse wie eine automatisierte Identifikation und Bestellung von Ersatzteilen oder digitale Assistenzsysteme.

Intelligente Instandhaltung von Zügen in der Praxis

Zur Veranschaulichung stellten Gregor Schmid (Leiter Projekt E-Check) und Patrick Goldschmidt (AI Specialist), beide von der Deutschen Bahn, ein konkretes Projekt des größten Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmens Mitteleuropas vor. Der »E-Check« soll zukünftig eine automatisierte Instandhaltung von Fernverkehrszügen ermöglichen.

So wird ein ICE zwischen Einsätzen langsam in die E-Check-Anlage gefahren. Hierbei nimmt ein Kamera-Tor 360 Grad um den Zug herum Bilder auf, welche anschließend von einer KI ausgewertet werden. Bei Auffälligkeiten erhalten Techniker vor Ort alle notwendigen Informationen auf ihr Mobilgerät, um den Fehler zu validieren und zu beheben oder einen Inspektionsauftrag im zentralen Software-System anzulegen. Gleichzeitig sind Roboter für automatisierte Wasserbefüllung und -entsorgung geplant.

Um den Qualitätsanforderungen des Systems zu genügen, sei die Entscheidung auf Edge Computing gefallen, so Goldschmidt. Bei Einfahrt eines ICE wird dessen Baureihe identifiziert, sodass das richtige Machine-Learning-Modell inklusive Metadaten aus dem zentralen Software-System zum Einsatz kommen kann. Ferner wird zentral eine konstante Modell- und Datenüberwachung durchgeführt, um Model- und Data-Drift entgegenzuwirken.

Der anschließende E-Check findet aufgrund der großen Datenmengen ohne Cloud-Verbindung in der Anlage vor Ort statt. Goldschmidt sieht die qualitätsrelevanten Features des Systems als eine große Herausforderung: Aufgrund fehlender geeigneter Standards und vergleichbarer Systeme, die darauf abzielen, Deep Learning in Instandhaltungsprozessen von Zügen zu implementieren, werden aktuelle Forschungsergebnisse sowie sich aktuell noch im Entwurfsstatus befindliche relevante Normen herangezogen. Auch das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS ist hier beteiligt. Es hat den Auftrag, Anforderungen an das KI-System zu formulieren, sodass der E-Check mindestens so sicher ist wie eine menschliche Inspektion.

Von Demonstratoren zu Produkten – Forschungsherausforderungen in der Absicherung von KI

Aus erster Hand berichtete Dr. Chih-Hong Cheng, Abteilungsleiter Safety Assurance for AI am Fraunhofer IKS, sowohl aus der angewandten Forschung als auch aus seiner Arbeit in Normungsgremien. Durch seine Rolle als Teilprojektleiter für Validierung von KI-Systemen im BMWi-Pilotprojekt safe.trAIn und Deputy Lead für die Entwicklung der ISO-Norm zur Sicherheit und künstlicher Intelligenz (ISO PAS 8800) ging er direkt auf die angesprochenen Herausforderungen seiner Vorredner ein.

Dabei betonte er besonders den grundlegenden Unterschied zwischen funktionierenden Demonstratoren und verkaufsfähigen, sicheren Produkten. Letztere erfordern eine deutlich bessere Absicherung und müssen in einer unkontrollierbaren Umgebung auf eine Vielzahl von teilweise auch unbekannten Szenarien reagieren können. Andere Branchen haben hier auch bereits ihre Erfahrungen gemacht. So folgerte Cheng: »Wir müssen die Erfolge und Misserfolge von Künstlicher Intelligenz anderer Domänen registrieren und das Know-how in die Bahnindustrie übertragen. Nur so können wir vermeiden das Rad mit hohem Aufwand neu zu erfinden. «

Dabei betonte er besonders den grundlegenden Unterschied zwischen funktionierenden Demonstratoren und verkaufsfähigen, sicheren Produkten. Letztere erfordern eine deutlich bessere Absicherung und müssen in einer unkontrollierbaren Umgebung auf eine Vielzahl von teilweise auch unbekannten Szenarien reagieren können. Andere Branchen haben hier auch bereits ihre Erfahrungen gemacht. So folgerte Cheng: »Wir müssen die Erfolge und Misserfolge von Künstlicher Intelligenz anderer Domänen registrieren und das Know-how in die Bahnindustrie übertragen. Nur so können wir vermeiden das Rad mit hohem Aufwand neu zu erfinden. «

Daraufhin demonstrierte Cheng anhand von Beispielen aus der Praxis, dass Problemursachen neuronaler Netze über den gesamten ML-Entwicklungsprozess hinweg zu finden sind. Ziel ist es, jene Ursachen einzudämmen, indem möglichst vielen Fehlern vorgebeugt wird und eine Sicherheits-Argumentation inklusive nutzbarer Metriken abzuleiten. Erreicht wird dies durch eine systematische Analyse der zu entwickelnden Funktion, indem sie in Problemklassen mit Teilzielen zerlegt wird.

Cheng endete seinen Vortrag mit einem Einblick in die Herausforderungen seiner aktuellen Forschungsarbeit. Im Mittelpunkt dabei steht der richtige Umgang mit simulierten Daten. Diese werden für die Generierung von Szenarien genutzt, sind allerdings eben nicht »real« und daher für sicherheitskritische Systeme begrenzt einsatzfähig. Um die Einsatzfähigkeit zu gewährleisten, benötigt es zunächst eine systematische Methode, so Cheng. Diese kann beispielsweise aus einem Vergleich oder einer Mischung von realen und synthetischen Daten in Anwendungen Künstlicher Intelligenz bestehen.

Doch wann kommt die KI denn nun flächendeckend auf die Schiene? Ein Konsens konnte hier in der anschließenden Diskussion der Vortragenden mit Vertretern von Schienenfahrzeugherstellern, Zulieferern, Infrastruktur-Betreibern und Verkehrsgesellschaften nicht gefunden werden. Während sich die Schätzungen von wenigen Jahren bis hin zu über einer Dekade bewegten, ließ sich eine Gemeinsamkeit feststellen: Der Zug ist bereits losgefahren. Und die gesamte Branche ist eingestiegen.

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Gereon Weiss
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Industrie 4.0 / Fraunhofer IKS
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