Weltfrauentag 2022
Gleichberechtigung in der Wissenschaft

Chancengleichheit für Frauen entsteht nicht von selbst, wir müssen uns dafür einsetzen. Auch in der Wissenschaft ist es noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung.

mask Meeresrauschen

Starten wir mit ein paar Zahlen: Der Gender Gap in der Wissenschaft wird zwar kontinuierlich kleiner, aber es ist noch ein langer Weg bis von Gleichstellung die Rede sein kann. Laut statistischem Bundesamt lag 2019 der Frauenanteil in außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei 37 Prozent, im Hochschulbereich bei 40 und in den Forschungsabteilungen deutscher Unternehmen bei 15 Prozent.[1] Da gibt es noch einiges zu tun!

Übrigens hängt der Frauenanteil stark von der fachlichen Ausrichtung der Institution ab – die MINT-Bereiche fallen signifikant ab.[2] Am Fraunhofer IKS haben wir aktuell einen Frauenanteil von 32 Prozent bei den wissenschaftlichen Mitarbeitenden. Tendenz stark steigend: Im Jahr 2021 hatten wir einen Zuwachs um 180 Prozent und konnten hervorragende Wissenschaftlerinnen aus aller Welt für das Fraunhofer IKS gewinnen.

Auswirkungen der Pandemie auf die Gleichstellung

Dieser Trend an unserem Institut steht allerdings im Gegensatz zur Entwicklung in der deutschen Forschungslandschaft. Studien zeigen, dass Wissenschaftlerinnen von der Pandemie stärker betroffen sind als ihre männlichen Kollegen, insbesondere wenn sie Familie haben: Sie publizieren weniger, nehmen weniger an Konferenzen teil, beantragen weniger Fördergelder und investieren insgesamt weniger Zeit in ihre Forschungsarbeit. Der Grund? Die massiv gestiegene Care-Arbeit in den Lockdowns angesichts eingeschränkter Betreuungsmöglichkeiten. Die ohnehin fragile Diversität unseres Wissenschaftssystems gerät dabei ins Wanken. Der Weg zur Gleichstellung wird wieder um ein Stück länger. Frauen müssen ihren Platz in der Wissenschaft ohnehin schon härter erkämpfen, auch ich habe immer wieder (subtile) Diskriminierung erfahren und erlebe derartiges bis heute. Ich habe mich oft gefragt: Würde mein Gegenüber einem Mann diese Fragen auch stellen? Würde auch ein Mann in seiner fachlichen Kompetenz angezweifelt werden?

Hier kommt es meiner Meinung nach klar darauf an, sich des eigenen Werts und des eigenen Könnens dennoch stets bewusst zu bleiben. Und diese auch zu kommunizieren! Ich rate meinen Masterandinnen, Doktorandinnen und Wissenschaftlerinnen immer, die eigene Sichtbarkeit online und offline zu erhöhen, Netzwerke zu knüpfen, auf den einschlägigen Konferenzen präsent zu sein und natürlich selbstbewusst zu den eigenen wissenschaftlichen Leistungen zu stehen. Ein Doktortitel ist – vor allem in Deutschland – übrigens auch immer noch von großem Vorteil!

Den eigenen Wert kennen und benennen

Frauen sollten zudem darauf achten, wie sie kommunizieren: Eine internationale Studie [3] hat untersucht, wie Forscher und Forscherinnen ihre eigene Arbeit benennen: Männliche Hauptautoren verwenden demnach um bis zu 21 Prozent häufiger Wörter wie »neuartig«, »ausgezeichnet« oder »einzigartig« in ihren (Zwischen-)Überschriften. Positives Framing nennt sich das und Frauen sollten unbedingt darauf achten, ihr eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen: Immerhin führt der Einsatz von Positivem Framing zu bis zu 13 Prozent mehr nachfolgenden Zitierungen in Fachzeitschriften.

Meine Familie hat mich immer in dem Glauben bestärkt, alles werden zu können, was ich will. Das ist wichtig: Alle Kinder brauchen Personen, die sie anleiten, an sich zu glauben. Immer, wenn mir gesagt wurde, dass Mädchen das doch nicht machen, konnte ich das also als Herausforderung nehmen. Das ist definitiv nicht der einfachste Weg: Man scheitert wirklich oft, muss sich selbst wieder aufrappeln und weitermachen. Es hat mich angespornt, es zu versuchen, weil ich Rückhalt hatte und den Glauben, dass es möglich sein muss. Vorbilder sind hier essenziell! Als Kind hatte ich hauptsächlich negative Vorbilder – also Inspiration, wie ich eben nicht werden möchte. Umso wichtiger finde ich es heute, Mädchen und jungen Frauen echte Vorbilder zeigen zu können, die Orientierung geben und zeigen, was alles möglich ist.

Respekt für das bereits Erreichte

Ich habe immer gezögert, mich explizit als weibliche Wissenschaftlerin zu positionieren, ich sehe mich als Mensch. Ich verdiene es, die gleiche Behandlung, die gleiche Bezahlung, die gleiche Anerkennung zu bekommen, weil ich die gleiche gute Arbeit mache. Aber wenn ich jetzt nicht dafür einstehe, müssen es irgendwann meine Töchter tun. Ich möchte, dass sie in einer gleichberechtigten Welt aufwachsen. Die Situation, wie wir sie jetzt haben, ist ja auch nicht einfach so passiert – viele Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv für mehr Gleichberechtigung gekämpft und auch bereits viel erreicht. Mir ist es wichtig, dies zu würdigen und ich spreche auch oft mit meinen Töchtern über die Persönlichkeiten der Frauenbewegung. Wir sind schon weit gekommen. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.


Nächster Artikel

Interview mit Julia Beck
»Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird am Institut gelebt«

Judith Anger
Judith Anger