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Porträt Reinhard Stolle
»KI hat mich schon sehr früh fasziniert«
Seit Juni ist Dr. Reinhard Stolle stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IKS. Software im Auto ist für ihn nicht nur Beiwerk, sondern entscheidender Wettbewerbsfaktor. Das hat er früher als andere erkannt und in der Industrie auf den Weg gebracht.
© iStock/Amore al Arte
Mit der deutschen Automobilindustrie geht die Öffentlichkeit hierzulande nicht immer ganz fair um, findet Dr. Reinhard Stolle, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme IKS: »Mercedes Benz und BMW sind traditionell internationale Automobil-Innovationsführer«, sagt er im Interview auf dem Safe Intelligence Blog. »Beide Unternehmen, aber auch Volkswagen, haben sich sehr früh und zielgerichtet mit Software als Innovationstreiber beschäftigt und sich die entsprechende Kompetenz erarbeitet. Das kommt der deutschen Automobilindustrie jetzt zugute.«
Reinhard Stolle muss es wissen, denn er war mehr als 14 Jahre bei BMW als Entwicklungsingenieur und in diversen Leitungsaufgaben tätig. Dabei arbeitete er unter anderem an der Softwarestrategie, Fahrassistenzsystemen, autonomem Fahren und KI. So hat Reinhard beim bayerischen Automobilhersteller ein neues Software-Entwicklungslabor aufgebaut und geleitet, das sich mit Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellen Lernens (ML) beschäftigt, mit Schwerpunkt auf autonomem Fahren. »Besonders wichtig war mir dabei, die Softwaresparte nicht disruptiv zu schaffen, sondern, im Gegenteil, Schritt für Schritt. Ein modernes Fahrzeug ist ein komplexes Produkt, an dessen Entwicklung viele Fachkompetenzen beteiligt sind. Durch interdisziplinäre Arbeit war es möglich, schon früh verlässliche Ergebnisse ins bestehende Produkt zu liefern und dadurch Vertrauen zu schaffen. So war die Akzeptanz für das neue Aufgabenfeld und die neue Herangehensweise von Anfang an hoch«, betont Reinhard.
Bei seinen nächsten Stationen als Head of Engineering bei Autonomous Intelligent Driving (AID), einem Unternehmen innerhalb des VW-Konzerns, und als Vice President bei Argo AI verantwortete er Fortschritte beim autonomen Fahren des Levels 4, das heißt mit leistungsfähigen Sensoren und Rechnern ausgestatteten Fahrzeugen, welche unter bestimmten Bedingungen komplett autonom agieren.
Gegen KI haben Betriebssysteme keine Chance
»Schon sehr früh als Student hat mich KI fasziniert und seitdem nicht mehr losgelassen«, sagt Reinhard. Dabei hatte er sich ursprünglich für ein Informatik-Studium entschieden, weil er sich als Schüler besonders für Betriebssysteme interessiert hatte. Deshalb fiel seine Entscheidung auf die Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in Erlangen, wo ihm das Angebot in puncto Betriebssysteme mehr zugesagt hat als anderswo. Aber dann kam die KI: »An der KI hat mich von Anfang an die dahinterstehende mathematische Logik und die Logikprogrammierung interessiert.«
Seinen Master in Computer Science erwarb er als Fulbright-Stipendiat an der University of Colorado at Boulder (USA). Seine Promotion direkt im Anschluss befasste sich – natürlich – mit KI. In seiner Freizeit engagierte sich Reinhard im Social Committee der Universität. „Was mir sofort auffiel, war das viel bessere Betreuungsverhältnis“, erinnert sich Reinhard. „Bei den Informatikern in Erlangen fingen jedes Jahr 450 Studentinnen und Studenten an. Die wurden von acht Professoren betreut. In Boulder waren 30 Professoren für insgesamt unter 500 Studierende zuständig.“
Seine nächste Station war die Stanford University im kalifornischen Silicon Valley. Als Postdoc und als DAAD-Stipendiat forschte er dort unter anderem an einem Projekt der US-Raumfahrtbehörde NASA mit. Reinhard blieb in den folgenden Jahren im Silicon Valley und forschte am Xerox Palo Alto Research Center (PARC). Sein Fokus lag auf Natural Language Understanding und der Verarbeitung von Informationen aus Texten durch Künstliche Intelligenz. Insgesamt 12 Jahre verbrachte er in den USA.
Forschung und Praxis in Einklang bringen
Auch am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS bestimmt Künstliche Intelligenz die Forschungsarbeit des 56-Jährigen. Dabei geht es ihm vor allem um den Bezug zur Praxis: »In der rein akademischen Forschung beschäftigt man sich oft mit ›sortenreinen‹ Lösungen. Man entwickelt zum Beispiel einen neuen Algorithmus und erforscht seine Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten. In der Praxis werden KI-Methoden aber meistens als heterogene Mischung eingesetzt. Ich interessiere mich dafür, wie wir mit der pragmatischen Kombination von mehreren Methoden einen echten Mehrwert für die unterschiedlichsten Anwendungen erzeugen können.«
Besonders interessiert sich Reinhard für die Anwendung von KI-Lösungsbausteinen in sicherheitsrelevanten Bereichen. »In solchen Systemen können Fehler dazu führen, dass Menschen gefährdet werden. Die Kernkompetenz unseres Instituts, des Fraunhofer IKS, ist, Systeme mit KI so zu entwickeln, dass sie sich sicher verhalten – und diese Sicherheit auch nachweisen zu können«, betont Reinhard. Hier offenbare sich ein Entwicklungsmuster von Informationstechnologie: Vor einigen Jahrzehnten wurde Software oft als Problemursache wahrgenommen, heute dagegen gilt Software unbestritten als der Schlüssel zur Lösung vielfältigster Herausforderungen. Analog dazu erarbeite das Fraunhofer IKS KI-Methoden, die Systeme performanter und sicherer machen. »Das soll der Slogan ›Safe Intelligence‹ zum Ausdruck bringen.«
Einmal im Jahr zieht es Reinhard beruflich regelmäßig wieder nach Kalifornien. Er ist einer der Organisatoren des AAAI-MAKE, eines wissenschaftlichen Symposiums der Association for the Advancement of Artificial Intelligence (AAAI). Inhaltlich dreht sich die Veranstaltung um die Kombination von Maschinellem Lernen mit Methoden des Knowledge Engineering.
Aber es gibt auch ein Leben neben der KI. Dort spielt für Reinhard die Musik eine große Rolle. So leistete der gebürtige Oberschwabe seinen Wehrdienst als Militärmusiker in Ulm, spielte Klarinette, Saxofon und Fagott. Heute setzt er sich noch sehr gerne ans Klavier. Und er liebt die Berge. Mit seiner Frau, die er übrigens an der Uni in Boulder kennengelernt hat, und seinen beiden Söhnen geht er im Winter zum Skifahren und im Herbst zum Wandern.