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Fraunhofer-Forscherinnen im Fokus
Kleine Teilchen, große Karriere
Ein Forschungsaufenthalt am CERN – clever genutzt als Auslandssemester, Promotion mit Auszeichnung, erfolgreiche Habilitation, eine Lehrstelle als Privatdozentin an der Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und mit 37 Jahren Leiterin der Abteilung »Quantum Computing« am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS: Was PD Dr. habil. Jeanette Miriam Lorenz in ihrer noch jungen Karriere erreicht hat, ist beachtlich. Dabei lief nur scheinbar alles wie geplant.
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© Fraunhofer
Spricht man Jeanette auf ihre Geradlinigkeit an, lächelt sie: »Im Prinzip war ich trotzdem langsam. Ich hatte Angebote für Elite-Förderprogramme, mit denen ich nochmal zwei Jahre gespart hätte. Aber ich wollte mehr Vorlesungen hören, als angeboten wurden.« Quantencomputing (QC) kam als Forschungsbereich ebenfalls eher überraschend: »Ich wäre gerne in der Teilchenphysik geblieben, aber sie steckt in einer Art Sackgasse. Man müsste erst viele Jahrzehnte experimentieren, nur um ein paar Werte zu verbessern. Das war keine prickelnde Aussicht.«
Die optimale Mischung
Im April 2021 ging sie daher als Senior Scientist zum Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS, um zuverlässiges und robustes QC zu ermöglichen. Viel besser hätte die Entscheidung nicht ausfallen können: »Hier vermischen sich Mathematik, Physik und Informatik, Theorie und Experimentalphysik. Das passt eigentlich viel besser zu mir!« Wenn sich alle Schätzungen bewahrheiten, könnten Jeanette sowie ihre Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Arbeit schon in wenigen Jahren viele gesellschaftliche Bereiche und damit das Leben vieler Menschen positiv beeinflussen – ob in Medizin, Pharma oder Cybersicherheit, ob durch nachhaltigere Lieferketten oder stabilere Energienetze.
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© MQV | Mikka Stampa
Jeanette Lorenz: »Andere müssen neue Landesteile entdecken oder neue Gipfel erklimmen. Ich kann einfach die Finger nicht von Physik und Mathematik lassen.«
Wissenschaft? Alternativlos!
Den Anspruch, etwas erreichen zu wollen, stellt Jeanette sowohl an sich als auch an ihre Doktorandinnen und Doktoranden sowie an ihre Mitarbeitenden: »Ich achte bei meinem Team auf die Motivation und auf das Potenzial, geschlechterunabhängig.« Dass Frauen in ihrer Abteilung in der Mehrheit sind, ist also nicht beabsichtigt, sondern eher ein erfreulicher Zufall. Denn noch immer, so zeigen es Studien, ist der Frauenanteil in den Studiengängen zunächst konstant, nimmt nach der Promotion aber rapide ab. »Warum das so ist, ist noch ein Mysterium. Ich wage aber die These, dass die Unsicherheit des Wissenschaftsbetriebs viele Frauen abschreckt.« So sind zum Beispiel befristete Verträge alltäglich, aber nicht für alle gleichermaßen geeignet. Für Jeanette selbst gab es keine Alternative. »Andere müssen neue Landesteile entdecken oder neue Gipfel erklimmen«, zieht sie den Vergleich. »Ich kann einfach die Finger nicht von Physik und Mathematik lassen.«
Quantencomputing: das Prinzip
Ein Bit kann nur einen von zwei Zuständen annehmen: 0 oder 1. Das setzt der Leistungsfähigkeit klassischer Computer Grenzen, die das Quantencomputing (QC) verschiebt. Statt Bits rechnet es mit Qubits, die 0 und 1 gleichzeitig sein und so eine große Menge Daten gleichzeitig verarbeiten können. Jeanette will diese Besonderheit mit neuen Methoden verknüpfen und schon bald bisher unlösbare Aufgaben lösen.
Dafür befasst sie sich unter anderem mit »Superposition«, also dem Überlagern zweier Qubit-Zustände zur selben Zeit, mit »Interferenzen«, dem gegenseitigen Verstärken oder Abschwächen der Zustände, und mit dem »Entanglement«, der Kopplung und gegenseitigen Abhängigkeit zweier Qubits. Und sie nutzt all ihr mathematisches und physikalisches Wissen, denn beim Quantencomputer wird mit Atomen und Ionen statt Elektronik gerechnet. Was auf der einen Seite Vorteil ist, ist gleichzeitig eine Schwäche. Denn die Quantencomputer reagieren besonders empfindlich auf Temperatur und Strahlung und sind daher oft nur für einen sehr kurzen Zeitraum leistungsfähig.
Neue Anwendungsfelder erschließen
In Zukunft wird es also bestimmte Hardware und Software brauchen, die mit den sensiblen Qubits umgehen können. »Aktuell gibt es noch keine Garantie, dass QC so funktioniert, wie wir es uns vorstellen«, räumt Jeanette ein. »Aber wir haben deutliche Ansatzpunkte, dass wir damit zum Beispiel die Molekülsimulation verbessern und schneller neue Medikamente produzieren können. Oder dass wir Machine Learning beschleunigen können, um mit weniger Trainingsdaten die Algorithmenqualität zu verbessern und neue Anwendungsfelder erschließen.«
KI intelligenter machen
Das Ziel ihrer Forschung sei es, die KI intelligenter zu machen, sagt Jeanette. Übrigens auch in der Zusammenarbeit mit Unternehmen: Sie wollen wissen, ob QC bei ihren Betriebsabläufen helfen kann und was für sie passende Einsatzszenarien sind. Großes Interesse an dem technologischen Fortschritt hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und fördert daher Projekte wie QuaST, damit QC künftig für alle Anwendenden leichter zugänglich wird
Buch:
»Forscherinnen im Fokus – Wir schaffen Veränderung«
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch »Forscherinnen im Fokus – Wir schaffen Veränderung«.
42 Forscherinnen der Fraunhofer-Gesellschaft werden darin porträtiert. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Instituten und Bereichen, von Klimaschutz und nachhaltiger Energieversorgung über Gesundheit, Medizin und Katastrophenschutz bis hin zu Mobilität, Verkehr sowie Maschinen und Produktion.
Institutsübergreifende Zusammenarbeit
Optimierung, Zuverlässigkeit und Sicherheit von Quantencomputing sind ebenfalls Themen, mit denen sich Jeanette und ihre Mitforschenden am Fraunhofer IKS befassen. Sie tüfteln im Rahmen des Bayerischen Kompetenzzentrums Quanten Security und Data Science (BayQS) gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC und des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS, der Technischen Universität (TU) München, dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) und dem Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) an der Verifizierung komplexer KI-Methoden. Diese sollen im Automobilsektor, in
Medizin oder Produktion sicher eingesetzt werden können. Ein weiteres und Jeanette besonders wichtiges Forschungsfeld von QC und KI ist die medizinische Diagnostik. In wenigen Jahren wird, so das Vorhaben, damit die Früh- und Verlaufsdiagnostik sowie die Therapie schwerer Krankheiten auf einem neuen Level möglich sein.