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Autonome Züge
Sicher und fahrerlos im ÖPNV unterwegs
In vielen Großstädten ist der Regelbetrieb selbstfahrender Bahnen bereits zum Alltag geworden. Doch wie funktioniert autonomes Fahren im Schienenverkehr?
© iStock.com/artisteer
Im Gegensatz zur Straße ist das autonome Fahren auf der Schiene bereits Realität - und das seit fast 40 Jahren. Die erste fahrerlose Metro weltweit wurde 1983 in der nordfranzösischen Großstadt Lille in Betrieb genommen. Inzwischen gibt es weltweit mehr als 60 U-Bahnsysteme, die vollautomatisch über eine zentrale Leitstelle gesteuert werden. All die Aufgaben, die sonst Menschen übernehmen – das Losfahren, das Anhalten an der Haltestelle, das Öffnen der Türen oder das Überwachen des Fahrwegs – steuert ein Computersystem.
Zehn Jahre fahrerlose
U-Bahn in Nürnberg
Bislang einzigartig in Deutschland sind die fahrerlosen U-Bahn-Linien U2 und U3 in Nürnberg. Seit 2008 sind sie im Einsatz und bringen an einem durchschnittlichen Werktag über 200.000 Menschen ans Ziel. Ermöglicht wird dies durch die Vernetzung der Fahrzeuge, der Strecke und der Stellwerke. In den Fahrzeugen und entlang der Strecke sind Rechner verbaut, die den Betrieb steuern. Kamera- und Radarsysteme gewährleisten die Sicherheit am Bahnsteig. Sollten Unbefugte in den Tunnel gelangen, lösen Sensoren sofort Alarm aus. Die Hinderniserkennung im Gleisbett sorgt dafür, dass die Bahn rechtzeitig abbremst, falls jemand auf das Gleis gestürzt ist. Intelligente Türen erkennen, wenn Menschen oder Gegenstände eingeklemmt wurden und verhindern, dass der Zug ohne Lokführer abfährt.
Ganz ohne menschliche Unterstützung geht es aber auch hier nicht. Mitarbeitende in der zentralen Leitstelle überwachen den Betrieb und können im Notfall eingreifen. Die Bilanz der VAG Nürnberg fällt sehr positiv aus. Die Fahrgäste werden zuverlässig, pünktlich und sicher transportiert, auch Akzeptanzprobleme bestehen keine. Insgesamt gesehen fahre der Computer sogar besser, so eine Sprecherin.
Autonome Züge bieten zahlreiche Vorteile
Allerdings sind die Kosten für zusätzliche Technik, Infrastruktur und Instandhaltung hoch. Welche Vorteile bieten fahrerlose Systeme also? Durch selbstfahrende Züge wird die Sicherheit der Passagiere erhöht. Die Überwachungssysteme reagieren schneller als Menschen auf unvorhergesehene Ereignisse. Zudem verkürzen sich die Wartezeiten: Der automatisierte Betrieb ermöglicht eine höhere Taktung. Zum Beispiel kann die U-Bahn in Nürnberg im 100-Sekunden-Takt fahren. Das ist doppelt so häufig wie beim konventionellen Betrieb. Bei hohem Fahrgastaufkommen wird außerdem die Zuglänge per automatischer Kupplung verdoppelt – ferngesteuert von der Leitstelle aus.
Auch die Geschwindigkeit kann erhöht werden: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) werden optimale Abbrems- und Beschleunigungszeiten berechnet, wodurch die Bahnen punktgenau starten und stoppen. Durch die effizientere Fahrweise wird außerdem der Energieverbrauch reduziert.
An der stromsparenderen Planung von An- und Abfahrtszeiten der Nürnberger U-Bahn war auch das Fraunhofer IIS beteiligt. Diese Methoden werden im ADA Lovelace Center for Analytics, Data and Applications weiterentwickelt. Auch das Fraunhofer IKS ist Teil dieses Kompetenzzentrums und forscht an neuen Data-Analytics-Verfahren und -Algorithmen für konkrete KI-Anwendungen, die sowohl einen Mehrwert für die Industrie, datengetriebene Dienstleistungen als auch die Forschung bieten.
Kompetenzzentrum für Data Analytics & KI
Als Projektpartner im ADA Lovelace Center for Analytics, Data and Applications, einer Kooperationsplattform zu Data Analytics für Wissenschaft und Wirtschaft in Bayern, erforscht das Fraunhofer IKS neue Data-Analytics-Verfahren und -Algorithmen für konkreten KI-Anwendungen.
Autonome Fahrzeuge auch in anderen Bereichen des öffentlichen Verkehrs
Fahrerlose Systeme kommen überwiegend in U-Bahnen zum Einsatz. Deren Liniennetze sind weniger komplex, da meist baugleiche Bahnen im Betrieb sind. Dank des Tunnelsystems handelt es sich um eine geschlossene Infrastruktur, mit überschaubaren Einflüssen von außen.
Doch auch an der Oberfläche ist autonomer Schienenverkehr möglich. In den Langstreckenzügen der Deutschen Bahn sitzen zwar noch Lokführer und Lokführerinnen, theoretisch reicht aber der Kontakt zur Leitstelle bereits aus, damit der Zug gesteuert werden kann. Aufgrund juristischer Hürden dürfen Personenzüge in Deutschland allerdings noch nicht fahrerlos unterwegs sein. Das könnte sich aber bald ändern, die nötige Infrastruktur wird bereits vorbereitet: Das »European Train Control System« (ETCS) soll zum einheitlichen Standard für Zugbeeinflussungssysteme in ganz Europa werden. Auf mit ETCS ausgestatteten Strecken überwachen Sensoren die Geschwindigkeit und die Position des Zuges. Außerdem wird überprüft, ob das Gleis frei ist und – wenn ja – eine automatische Fahrtfreigabe erteilt. Dieses System stellt eine Grundvoraussetzung für einen autonomen Betrieb dar. Es wird erwartet, dass bereits in fünf Jahren fahrerlose Fernverkehrszüge ohne Lokführer in Deutschland auch Personen befördern werden.
Auch in anderen Bereichen werden Schritte zur Automatisierung des öffentlichen Verkehrs eingeleitet. Das Forschungsprojekt MINGA der Stadt München hat sich zum Ziel gesetzt, fahrerlose Verkehrssysteme intelligent miteinander zu verknüpfen und sinnvoll in das bestehende Netz zu integrieren. Dabei liegt der Fokus der Projektpartner vor allem auf der Automatisierung von On-Demand Fahrzeugen, sowie Bussen im Linienverkehr. Das Projekt läuft bis Ende 2025.
Verlässliche Perzeption ist Voraussetzung für sichere Anwendungen
Die korrekte Erfassung der Umwelt ist unumgänglich für einen sicheren Betrieb Kognitiver Systeme. Autonome Fahrzeuge z. B. erfassen ununterbrochen ihre Umgebung durch verschiedene Sensortechnologien wie Kamera-, Radar- oder Lidar-Systeme.
Bei der Perzeption selbstfahrender Züge besteht noch Forschungsbedarf
Die Grundlage für die Automatisierung unserer Verkehrssysteme ist eine fehlerfreie maschinelle Wahrnehmung der Umgebung. Die sogenannte Perzeption entsteht aus gesammelten und zusammengeführten Daten von Kameras und Sensoren wie Radar und Lidar. Das Fraunhofer IKS arbeitet daran, KI bei der kamerabasierten Umfeldwahrnehmung verlässlicher zu machen. Verschiedene Hindernisse müssen zuverlässig erkannt und auch unterschieden werden können. Auch bei der Überprüfung der Gleise auf Defekte spielt sie eine große Rolle. Um die Performanz der KI für den Anwendungsfall zu erhöhen, müssen die bestmöglichen Machine-Learning-Verfahren und die dazugehörigen Hyperparameter ausgewählt werden. Damit auch die Güte der Vorhersagen verbessert wird, müssen außerdem die Unsicherheiten der KI während der Laufzeit genau bestimmt werden. Unter dem Stichwort Safe AI forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer IKS daran, KI abzusichern und Systeme zu schaffen, die nachweisbar verlässlich arbeiten.