Medizintechnik
KI hilft, medizinische Probleme zu verstehen

Wo Menschen nicht weiterkommen, kann mitunter Künstliche Intelligenz helfen: zum Beispiel bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die an koronarer Herzkrankheit (KHK) leiden.

Stent

Menschen mit koronaren Herzkrankheiten (KHK) haben teilweise verengte Arterien, die den Herzmuskel zu wenig mit Sauerstoff versorgen (sogenannte Stenosen). Stents sollen hier Abhilfe schaffen: Das sind optimierte medizinische Implantate, welche die Engstelle in der Arterie wieder aufweiten, sodass das Blut wieder besser fließen kann. Stents haben die Form kleiner Röhrchen als Drahtgeflechte. Aber es gibt vereinzelt Fälle, in denen der Körper nicht wie erwartet reagiert. Das heißt, dass sich die mit Hilfe des Stents erweiterte Engstelle wieder verengt. Die Frage, die sich Ärztinnen, Ärzte und die medizinische Fachwelt stellen, ist, welche Umstände diese bekannten Ausnahmefälle hervorrufen. Teilantworten könnten bereits medizinische Kenntnisse liefern, die den Ärzten bei Behandlungsentscheidungen helfen können. Die Forscherinnen und Forschern des Fraunhofer IKS haben unter Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) und zusammen mit einer Medizintechnikfirma angefangen, dem Problem auf den Grund zu gehen.

Stents unter der Lupe

Grundlage der Untersuchung war ein moderner Stent mit der Eigenschaft, dass er nicht nur verengte Gefäße offenhält und so ihre Funktion sicherstellt, sondern dass er sich auch nach einer bestimmten Zeit von selbst auflöst. Für solche Stents wurden bereits viele Daten in medizinischen Studien gesammelt. Auch hier traten vereinzelt Komplikationen auf, die mit dem etwas sperrigen medizinischen Begriff »postinterventionelles Zielläsionsversagen« zusammengefasst werden.

Nun galt es zu klären: Wie kam es zu diesen Komplikationen? Was lässt sich daraus lernen? Und wie lassen sich solche Komplikationen bei künftigen Produkten vermeiden? »Studiendaten von etwa 2.000 Patientinnen und Patienten mit relevanten Messungen wurden zur Verfügung gestellt«, erläutert Narges Ahmidi, Abteilungsleiterin Reasoned AI Decisions am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS. »Auf diesen Daten haben wir mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Sherlock Holmes gespielt und Detektivarbeit geleistet, wenn man so will.« Denn die KI kann nicht nur bei Dingen unterstützen und entlasten, die Menschen auch können – etwa beim autonomen Fahren – sondern darüber hinaus, wie hier, Probleme angehen, bei denen Menschen an ihre Grenzen stoßen. »Dafür war unser erster Schritt, den medizinischen Hintergrund zu verstehen, um passende KI-Modelle bewerten zu können. Etwa, dass zuerst das Gefäß mit einem Ballon vorgedehnt werden muss, bevor der tatsächliche Stent eingesetzt werden kann. «

Dr. Narges Ahmidi
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»Unser erster Schritt war, den medizinischen Hintergrund zu verstehen, um passende KI-Modelle bewerten zu können. Etwa, dass zuerst das Gefäß mit einem Ballon vorgedehnt werden muss, bevor der tatsächliche Stent eingesetzt werden kann. «

Mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz könnten die Forscherinnen und Forscher im Idealfall den Ärzten und Ärztinnen helfen, den optimalen Stent für die Patientinnen und Patienten mit behandlungsbedürftiger KHK zu finden, um die Komplikationsrate möglichst klein zu halten. Eine Aufgabe, die sich bislang nicht immer lösen lässt. Denn dazu bräuchte es ausführliche Patientendaten zu verschiedenen Stents. »Aber wir konnten etwas Wesentliches erreichen. Und zwar untersuchten wir die theoretische Verträglichkeit des neuartigen Stents und analysierten Möglichkeiten, den Operationsleitfaden zu verbessern. Die so gewonnenen Informationen planen wir zu veröffentlichen, um so einen Beitrag zur Diskussion in der medizinischen Fachwelt zu leisten «, erläutert Ahmidi.

Vorhersage: Werden bei einem Patienten Probleme auftreten?

Das Forschungsteam um Ahmidi trennte die Aufgabe in zwei Projektteile. Der erste: Lässt sich zum Zeitpunkt, an dem ein Patient mit dem implantierten Stent aus dem Krankenhaus entlassen wird, vorhersagen, ob Komplikationen auftreten werden oder nicht? Dann könnten die Medizinerinnen und Mediziner Risikopatienten bereits frühzeitig identifizieren und sie deutlich engmaschiger nachbetreuen. Um diese Frage zu beantworten, fütterten die Forscherinnen und Forscher die KI mit den Daten.

Die Datensätze umfassten sowohl den gesundheitlichen Hintergrund der Patientinnen und Patienten als auch Informationen zur Operation und Behandlung. »Zwar sind allgemeine Risikofaktoren für Komplikationen bekannt, etwa Diabetes, Übergewicht und multiple Herzprobleme. Aber diese geben nur allgemeine Tendenzen an – doch was heißt das für den individuellen Patienten? Wie sich die Gruppe der Patienten, die gesund blieben, von der Gruppe, die Komplikationen entwickelte, genau unterscheidet, ist für ein menschliches Gehirn nicht unbedingt offensichtlich«, sagt Ahmidi. Die Künstliche Intelligenz hat jedoch den Vorteil, dass sie schneller als jeder Mensch Daten lesen und effizient nach hochdimensionalen Zusammenhängen suchen kann. Den Medizinern liefert der Algorithmus eine »Ja-Nein-Antwort«, etwa: Dieser Patient wird vermutlich Komplikationen entwickeln. Die Evaluierung ergab, dass die Vorhersage der Künstlichen Intelligenz zuverlässig ist. Genauer gesagt: Der Algorithmus klassifizierte erfolgreich 1635 Patientinnen und Patienten als nicht gefährdet – die Übereinstimmung mit der Realität beträgt hier 90 Prozent. Außerdem wurden über die Hälfte aller Patienten mit Komplikationen korrekt identifiziert. Detaillierte Ergebnisse veröffentlichte das Team in der Fachzeitschrift Applied Sciences des Herausgebers MDPI.

Optimierung: Suche nach einem verbesserten Operationsleitfaden

Im zweiten Teilprojekt widmeten sich die Forscherinnen und Forscher der Frage: Gibt es Parameter, die man bei der Operation anpassen könnte, um das Risiko für spätere Komplikationen zu senken? Generell haben die Ärztinnen und Ärzte zwar viele Hypothesen, wie sie das Leben ihrer Patientinnen und Patienten verbessern könnten, allerdings ist es ihnen nicht möglich, all diese zu überprüfen. Der einzige Weg: Die Vermutung müsste in einer klinischen Studie getestet werden – eine teure und langwierige Angelegenheit, die für jede Hypothese von vorn beginnt. »Was wir am Fraunhofer IKS anbieten: Wir nehmen die aktuellen Operationsdaten, die bereits vorhanden sind«, sagt Ahmidi, »und verwerfen nichtzutreffende, medizinische Hypothesen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz. Das betrifft zum Beispiel die Verringerung des Aufblasdrucks im Ballon, der gebraucht wird, um die Engstelle zu weiten. Auf diese Weise kann das Team dazu beitragen, die medizinische Forschung effizienter zu gestalten.« Die Resultate des zweiten Teilprojektes werden derzeit veröffentlicht.

Die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IKS konnten somit zeigen: Mit Künstlicher Intelligenz lassen sich komplexe medizinische Probleme angehen – etwa zukünftige unerwünschte Ereignisse in verschiedenen medizinischen Szenarien früh zu erkennen und nach versteckten Wirkmechanismen dahinter zu suchen.

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Judith Anger
Künstliche Intelligenz & Machine Learning / Fraunhofer IKS
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